ANOTHER REALITY
Die Regiseuren Dernesch und Waldhauer begleiten fünf Männer, die sich im Umfeld von Gangs und Grossfamilien in deutschen Grossstädten bewegen. Agit, Ahmad, Parham, Kianush und Sinan, mit unterschiedlichen Hintergründen und Lebenswegen, die doch eines eint: Sie sind oder waren mehr oder weniger stark in Strukturen von Gangs und Grossfamilien eingebettet, die sich am Rande und oft jenseits der Legalität und unter dem Radar der Öffentlichkeit bewegen. In der gesellschaftlichen Diskussion werden diese Lebenswirklichkeiten schnell mit den Schlagworten «Parallelgesellschaften» und «kriminelle Clans» abgetan.
ANOTHER REALITY zeigt nicht nur die äusseren Strukturen dieser Welt, die nach eigenen Regeln funktioniert, sondern dringt tiefer in die Zusammenhänge und Lebensrealitäten der Protagonisten ein. Während z.B. der Berliner Ahmad den Verlockungen des schnellen Geldes, die ihm in seinem Umfeld tagtäglich begegnen, nicht nachgeben will, tauschte Parham aus Essen sein Leben als Strassengangster gegen eine Musikkarriere und arbeitet unter dem Namen P.A. als erfolgreicher HipHop-Künstler.
In den über drei Jahren, die Noël Dernesch und Olli Waldhauer drehten teilten Agit, Ahmad, Parham, Kianush und Sinan bereitwillig und ehrlich ihre Erfahrungen, Wünsche, Ängste, liessen sich aber auch auf eine Konfrontation mit den Widersprüchen ihres Lebensstils und ihrem Umgang mit den Folgen ihres Handelns ein. Und dank der sensiblen Kameraführung von Friede Clausz (LEMONADE, 24 WOCHEN) zeichnet ANOTHER REALITY dadurch ein intimes Porträt über eine Welt, die nach eigenen Regeln funktioniert.
Semaine de la Critique Locarno 2019
DOK.fest-München – Publikumspreisgewinners
Deutschland, Schweiz 2019 :: Dokumentation :: Drehbuch OLLI WALDHAUER, NOËL DERNESCH, JÖRG OFFER, TANJA GEORGIEVA :: Regie NOËL DERNESCH, OLLI WALDHAUER :: Kamera FRIEDE CLAUSZ :: Mitwirkende AHMAD SRAIS, PARHAM VAKILI, KIANUSH RASHEDI, AGIT GÜNDÜZ, SINAN FARHANGMEHR u.a. :: Dauer ca. 97 Min. :: Start Do, 3.12.20 :: mehr über den Film
[Elemag Pictures | Cognito Films]
KINO – GROSSDIMENSIONAL TRÄUMEN
Eine schockierende Realität …
Der Schweizer Regisseur NOËL DERNESCH, deutscher Filmemacher OLLI WALDHAUER und ihr Team wagen es, über die Welt der Grossfamilien-Gangs zu berichten. Und zwar ganz ohne Frauen, die zu Wort kommen würden.
Ein Projekt mit fünf Protagonisten, die über ihre Integration in Deutschland berichten, schockiert und macht einem Angst gleichermassen. Eine krassere Geschichte als die andere. Einer, der sich als junger Krimineller bei der Polizeischule in Münster bewirbt und aufgenommen wird. Er informierte die Schulleitung immer über seine Anzeigen. Bei der ersten Anzeige hiess es, ist nicht schlimm. So, wie bei den weiteren Anzeigen wie Körperverletzung, Erpressung, Bedrohung von Zeugen. Ein bewaffneter Raubüberfall wurde aber nicht mehr akzeptiert und damit wurde seine Polizei-Karriere definitiv beendet. Es kommen viele Geständnisse in dieser Doku vor, die vielleicht zum ersten Mal ausgesprochen werden. Ein guter alter Freund wusste nichts von dieser skurrilen Geschichte, seit 20 Jahren. Hut ab vor dem Filmteam, dem in drei Jahren Arbeit alle diese Geschichten anvertraut wurden. Grossartige Leistung, und zwar von allen Mitwirkenden.
Es wird viel über die Grossfamilien der Männer gesprochen. Über die unzähligen Verwandten. Die eigene Kriminalität wird als ein Vermächtnis an eigene Kinder dargestellt, damit sie nie kriminell sein müssen. Wie schon erwähnt, kommen im Film keine Frauen zu Wort, erst nach ca. 90 Minuten sind sie wenigstens als vermutliche Familienangehörige zu sehen. Erstaunlich um so mehr, dass das Drehbuch von einer Frau stammt. Auch TANJA GEORGIEVA hat einen Ihren grossartigen Beitrag dazu geleistet.
Einer der Protagonisten trennt sich von seinem kriminellen Leben und widmet sich erfolgreich der Musik. Die Geschichten sind spannend, Dialoge und Monologe werden mit Bravour vorgetragen, es macht Spass, den Typen zuzuhören. Sie wirken nicht wie Ghetto-Gangster, im Gegenteil. Als gut Deutsch sprechende Mitbürger, oder als einfache Deutsche mit Migrationshintergrund. Vielleicht sind sie es heute auch. Sie leben in einer Parallelgesellschaft mit eigenen Regeln – wird eben behauptet. Sie sprechen von ihren anfänglichen Sorgen als Arbeitslose, die sich hoffnungslos um unzählige Arbeitsstellen bewarben. Es wird erwähnt, dass Robert de Niro oder Al Pacino halt in ihren Filmen als perfekte Gangster aussehen, aber in Wirklichkeit keine sind, was viele bedauern. Die aus dieser Doku sitzen in Restaurants, immer mit freiem Blick zur Tür. Im Falle eines Mordes – berichtet einer – will er sehen, wer ihn gerade ermordet. Es ist nicht die einzige makabre Aussage in diesem Film. Da denk man oft, dass es keine Dokumentation über echte Menschen ist, sondern ein brutaler Spielfilm. Ist es aber nicht – es ist eben die andere Realität!
Empfehlung
Film gerne nochmals sehen – JA
Trailer deutsch | english